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Zaragoza/ES, El Pilar

Die Hauptorgel in der Kathedrale El Pilar, Zaragoza

Die Wallfahrtskirche El Pilar, gleichzeitig Neue Kathedrale des Erzbistums Zaragoza gehört zu den bedeutendsten Marienwallfahrtsorten der Christenheit. Die majestätische barocke Basilica mit ihren vier Türmen und den vielen Kuppeln beherrscht die Stadt am Ebro.

alle Fotos in diesem Artikel: Antonio Ceruelo, Zaragoza

Diese Kathedrale stellt eine Besonderheit in vielerlei Hinsicht dar, auch im Hinblick auf die Orgel. Der Aufstellungsort der Hauptorgel über dem Coro mayor in El Pilar besteht erst seit der Umgestaltung der Kathedrale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in dieser Form.

 

Seit zwei Jahren liefen in der Werkstatt Klais in Bonn die Vorbereitungen für den Einbau des neuen Werkes. Im April 2007 begannen die Arbeiten in der Kathedrale, die seit Weihnachten 2007 abgeschlossen sind. Das gigantische Orgelgehäuse, das in seiner Grundstruktur auf eine Renaissance-Orgel von 1590 zurückgeht, wurde sorgsam gereinigt und ergänzt. Seine geschnitzten Ornamente sind selbst für spanische Verhältnisse ungewöhnlich üppig und von vollendeter Eleganz.

 

 

Der innere Aufbau der neuen Orgel wurde dem außen sichtbaren Prospektverlauf angepasst. Die Orgel besitzt 4 Manuale, verteilt auf 71 Register, mit mechanischer Spiel- und elektrischer Registertraktur. Stilistisch verbindet das neue Werk die spanische Tradition in seiner aragonischen Ausprägung (wie etwa bei den bedeutenden gotischen Orgelgehäusen von der La Seo und in San Pablo in Zaragoza), besonders augenfällig sichtbar an den geteilten „Trompetas de Batalla“ und dem Corneta de Echo im eigenen Schwellkasten, mit einem eigenen, zeitgemäßen Konzept. Auch dies bedeutet für den spanischen Orgelbau eine Neuheit. Die neue Domorgel in Zaragoza ist eine der größten mechanisch gespielten Orgeln Spaniens.

 

Die Weihe am 12. Februar 2008 wird Kardinal Agustin Garcia-Gasco Vicente zusammen mit dem gesamten Episcopat der Kirchenprovinz von Zaragoza vornehmen. Viele spanische und internationale Gäste aus Politik und Kultur haben ihr Kommen angekündigt und wollen dieses wichtige Ereignis mitfeiern.

Für die Kirchenmusik Spaniens wird vom Orgelneubau und dem vielfältigen Gebrauch der Orgel in Gottesdienst und Konzerten ein wichtiger Impuls erwartet. „Ein Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen“ resümiert der Musikpräfekt der Domkapitels, Prof. Dr. José Vicente Gonzales Valle und freut sich über alle Maßen.

 

Die Mitarbeiter von Orgelbau Klais werden nicht lange in Feierstimmung verharren können. Direkt nach der Weihe beginnen sie mit der Restaurierung der Chororgel in der Santa Capilla der Kathedrale, damit auch dieses historische Instrument zum Beginn der EXPO, in Juni 2008 in Zaragoza fertig wird.

 

 

Mit der Umstellung des Coro an die Westwand und dessen neuer Gestaltung stellt es einen für spanische Kathedralen ungewöhnlichen Platz für Chorgestühl und Orgel dar: Das Orgelgehäuse steht seither auf der Westempore, und nicht, wie vor 1930 oder wie etwa in der La Seo mit seinem berühmten gotischen Orgelgehäuse von 1410, über den seitlichen Dorsalwänden des Coro Mayor. Der Chorraum befindet sich auch nicht mehr mitten im Raum, sondern an dessen westlichem Ende. So kann sich eine große Gemeinde zwischen Coro Mayor und Hochaltar versammeln.

 

Das Orgelgehäuse von 1948 wurde aus historischen Elementen aus der Zeit seit 1595 neu zusammengestellt. So wirken das monumentale Chorgestühl mit über 120 Chorstallen und die Orgel wie eine stilistische Einheit. So wurde – ohne Bruch – das überkommene Erbe von El Pilar weitergeführt, Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Zukunftsvision sind in Coro Mayor miteinander versöhnt. Auch die neue Orgel ist ein Teil davon und steht so in der kontinuierlichen Musiküberlieferung in der Kathedrale von Zaragoza seit frühester Zeit, wo seit dem frühen Mittelalter schriftliche Zeugnisse der Musik nachweisbar sind, und trägt dennoch zu neuem musikalischem Erleben bei.

 

 

Konzept und Idee

Das riesige Raumvolumen mit seinen vielen Kuppeln und Seitenkapellen, die vielen Gläubigen, Pilger und Besucher, all diese Vorgaben verlangen eine im Klang ebenso monumentale wie feine und filigrane Orgel. Das reich geschmückte monumentale Orgelgehäuse wollten wir mit einem Instrument vervollständigen, das sich in handwerklicher Tradition und gleichzeitiger Innovation auszeichnet. Die neue Orgel darf in unserer Muttersprache singen, und muß dennoch der wunderbaren Sprachmelodie der spanischen Zunge ebenso mächtig sein. Mit Hilfe der Berater entstand so eine Disposition, bei der die klassischen Elementen einer dreimanualigen Orgel mit Pedal durch ein viertes Manual mit wichtigen spanischen Elementen und Solostimmen erweitert wurde, wie die geteilten Register der spanischen Batalla, den horizontalen Trompeten, dazu das separat schwellbare Corneta de Eco, sowie, unverzichtbar in einer Kathedrale, den Soloregistern des Recitativo mit den wichtigen solistischen Klangfarben.

 

Selbstverständlich war uns die mechanische Spieltraktur für die Orgel, die Registertraktur sollte dagegen bei einem Instrument dieser Größe mit elektrischer Hilfe und einer großzügigen Setzerkombination ausgestattet sein.

 

 

Gehäuse der Orgel 

Das Gehäuse von 1950 hatte Teile des vorhandenen Gehäuses übernommen, die gleichsam Module für ein neues Gehäuse wurden. Die Einteilung der alten Orgel wurde verbreitert und erhöht, so dass dann insgesamt 5 Felder in der Front und 2 in der Seite entstanden, gegliedert durch reich geschmückte Säulen, mit drei Registern eines Principal 16‘ (Flautado 16‘) – zentral in der Mitte, zwei in den Außenfeldern und zwei, sehr eng mensuriert, an den Seitenwänden. Diese waren bei der Neukonzeption nur im oberen Bereich durchgestaltet, während der untere Bereich von den großen Holzpfeifen des Contras 32‘ weitgehend verdeckt blieb und daher nicht gestaltet war. In den Zwischenfeldern entstanden zwei kleinere Felder, im unteren Bereich mit den klingenden Pfeifen des Flautado 8‘, im oberen Bereich mit geschlossenen Dekorfeldern, die es schon beim Gehäuse von Guillaume de Lupe 1595 gab. Ein kleines dreigeteiltes Prospektfeld in der Mitte, unter dem zentralen Flautado 16‘ geht auch auf die Orgel von Guillaume de Lupe zurück, war aber zuletzt mit stummen Pfeifen besetzt. Es wird auch in Zukunft Dekor bleiben müssen, symbolisiert dennoch die Windlade der dahinter liegenden Batalla.

 

Auf den ersten Blick sind originale, alte Dekorteile und Profile kaum von den jüngeren und ergänzten zu unterscheiden. Die Flächen, Schleierbretter Füllungen und Profile sind überreich geschnitzt und dekoriert. In dieser Form ist das Orgelgehäuse von einzigartiger Wirkung und Krönung und Zierde des gesamten Chorgestühls im Coro Mayor. Durch die zentralmittige Aufstellung vor der Westwand der Basilika wird das Gehäuse zum würdigen Gegenüber des großen, spätgotischen Altarretabels.

 

 

Das Gehäuse wurde um die fehlenden Seitenwände ergänzt, bauseits von spanischen Restauratoren gesäubert und auf seinem ursprünglichen Farbton eingelassen, eine rötlich durchschimmernde Lasur. Für den inneren Aufbau wurde ein neues hölzernes Gerüst angelegt, welches aus dem vorhandene Tragegerüst der Fassade hervorgeht und dieses, statisch eigenständig, ergänzt. Wissend um die spanische Bautradition, wollten wir, um den Platz optimal zu nutzen, dem spanischen Gebrauch chromatischer Windladenteilungen nicht folgen, sondern haben vielmehr das kompliziertere System von diatonisch aufgegliederten Windladen gebaut, welches eine verzweigte Wellenbrettmechanik für die Spieltraktur zur Folge hat. Diese Wellenbretter haben wir, um eine möglichst torrosionsfreie Mechanik zu ermöglichen, aus groß dimensionierten Wellen aus Kiefernholz gebaut, wobei die weit auseinander und übereinander liegenden Werke bis zu 12 Meter - zur Órgano de Eco – lange Trakturwege haben. Wir sind uns sicher, dass auf diese Weise dauerhaft eine präzise, leichtgängige Spieltraktur möglich ist, trotz der Weitläufigkeit der Anlage.

 

Das Schwellwerk liegt im Mittelfeld ganz im oberen Bereich, unsichtbar hinter dem Schleierwerk des Flautado 16‘. Für dieses Werk konnten wir auf bereits vorhandene, hölzerne Lagerhölzer zurückgreifen, um die große Windlade und den Schwellkasten der Órgano de Eco unterzubringen. Alle anderen Windladen liegen hinter der sichtbaren Prospekteinteilung – in der Mitte, hinter den Pfeifen des Flautado 16‘ der Órgano Mayor, das Hauptwerk der Orgel. Dieses größte Teilwerk der Orgel hat, trotz einer eher mitteleuropäisch inspirierten Disposition, starke Reminiszenzen an die Organo españolo: Die Lade wird durch quer liegende Stimmgänge getrennt, welche die Lade zwischen c1 und cs1 teilt. Diese Teilung besitzt auch die Órgano de Batalla, deren Windlade darunter liegt und die Baß-Diskantteilung aller ihrer Register konsequent durchführt.

 

In den Außenfeldern stehen mit dem weit mensurierten Flautado 16‘ des Pedals und an den neuen Seiten, die Decima Mayor 10 2/3‘ des Pedals, die geteilten, symmetrisch aufgestellten Pedalladen, wobei zusätzlich noch die kleinen Register des Pedals, auf eigenen Laden, nach unten vor die Holzgitter weggeführt sind. In den Zwischenfeldern liegen die ebenfalls geteilten Laden der Órgano de Cadereta mit den klingenden Pfeifen der Flautado 8‘,darüber, hinter den geschlossenen Dekorfeldern, das Recitativo.

 


 

Die horizontalen Trompeten, der Batalla des IV. Manuals zugeordnet, sind auf die drei mittleren Prospektfelder beschränkt. In der Mitte sind die drei Trompetenregister der linken Hand, jeweils nach außen und mit hölzernen Konduktenbrettern abgeführt, die der rechten Hand sichtbar.

 

Die Mitte des Untergehäuses haben wir geöffnet, um unter dem Bild der Nuestra Señora del Pilar die Spielanlage einzubauen, an der Stelle, wo sie wohl bereits vor 1950 von Juan Dourte vorgesehen war. Bei ihr dominiert als Holzoberfläche Mahagoni, dem Holz, das in der ganzen Basilika vorwiegend und an bevorzugten Stellen Verwendung fand, kombiniert mit Intarsien.

 

Seitlich der Spielanlage sind die Zugänge ins Orgelgehäuse. Großzügige Treppen und Laufgänge führen zu allen Teilen des Instrumentes. Im Untergehäuse sind zusätzlich noch die beiden Balganlagen der Orgel, welche die Orgel mit ausreichend Wind versorgen. Die Windkanäle führen an der Kirchenwand nach oben zu den einzelnen Windladen.

 

So wichtig die unterstützende Technik der Orgel ist, den Zuhörer wie den Organisten interessiert vor allem der Klang der Orgel. Die Wahl des Pfeifenmaterials und seine konkrete Realisation in Material und Mensur sind die technischen Voraussetzungen für diese Aufgabe.

 

Die Disposition mit ihren 71 klingenden Registern ist auf eine möglichst vielseitige Verwendbarkeit hin angelegt, ohne auf einen charaktervollen Klang zu verzichten. Bewußt wählten wir für die Bezeichnung der Register das spanische Idiom, wohl wissend, dass etwa ein deutscher „Principal“ einem spanischen „Flautado“ nur ähnlich ist. Dies zu unterstützen, verzichteten wir beim Principalchor weitgehend auf Ansprachehilfen wie Seitenbärte oder auf Stimmschlitze. Der Klang erhält dadurch einen eigenen Charme, auch wenn die Mensuren nicht unbedingt spanischen Vorbildern entsprechen.

 

 

Die einzelnen Werke sind klassisch disponiert, so das Hauptwerk auf einer zweifach disponierten Basis in 16‘-Lage, wobei Principal-, Flöten und Zungenchor geschlossen besetzt sind. Kleinerer Partner des Hauptwerks ist das Órgano di Cadereta, ein klassisches Positiv mit dem Principalchor auf 8‘-Basis, den typischen Einzelaliquotregistern und solistischen Registern.

 

Das große Órgano di Eco wurde als Schwellwerk gebaut, und entspricht mit seinem „Chören“ dem klassischen Recit expressif, u.a. mit überblasenden Stimmen, den Trompettes harmoniques sowie lyrischen Solostimmen.

 

Besondere Aufmerksamkeit verdient das IV. Manual. Die Trompetas de batalla sind als geteilte Register gebaut und entsprechen der spanischen Tradition als geteilte Register. Aufgrund der weiten Verführungen in gestemmten Holzblöcken und Zinnkondukten ergibt sich die gewünschte weiche Ansprache der Zungenpfeifen, dennoch hell und strahlend klingend. Das Corneta de Eco der rechten Hand steht in eigenen Schwellkästen. An dieses Werk sind vier Solostimmen in Äquallage in Recitativo angegliedert, die auf höherem Winddruck intoniert sind.

 

Die Pedalregister des Contras Mayores geben der Orgel das Bassfundament, weit und tragend mensuriert, bewußt weich und voll im Klang. Die Basis auf den beiden Registern in 32‘-Lage ist der Größe der Kathedrale durchaus angemessen, die Aliquotstimmen dieser Basis auf 10 2/3‘und 6 2/5‘ runden diesen Klang weiter ab.

 

Auch bei Bau und Gestaltung der Pfeifen gibt es viele Entsprechungen in Bauform und Materialwechsel, wenn etwa abführte Pfeifen ganz traditionell aus Holz gebaut wurden, auf der Lade stehend dann in Metall weitergeführt werden. Dies hat neben der gewünschten Klangwirkung auch ästhetische Aspekte, die alle die Aufgabe haben – Orgel von El Pilar zu sein!

 

Die neue große Orgel in der Basilica Nuestra Señora del Pilar in Zaragoza wurde mit Bewußtsein gestaltet und gebaut. Sie greift nicht irgendwelche Moden oder neueste Trends auf , und läßt sich nicht einordnen in gängige Kategorien – etwa „altspanisch“, „symphonisch“ oder „avantgardistisch“. Wenn sich davon Elemente finden lassen, so sind sie der Funktion oder der Aufgabe des Instrumentes untergeordnet. Bewußt bleibt die Orgel – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – im „Rahmen“, das wunderbare Gehäuse ausfüllend, im Dienst der Liturgie in der Kathedrale und zur Freude der Menschen.

 

Hans-Wolfgang Theobald 

 

 

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