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Sinzig/DE, St. Peter

Der rheinische Gral der neuen Kirchenmusik

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig1.jpgder frisch geputzte Prospekt

Wer in den 70er und frühen 80er Jahren im Rheinland (im weiteren Sinne) auf- und in die Orgelwelt hineinwuchs, bekam bei der Erwähnung der Orgel in St. Peter zu Sinzig entweder glasige Augen oder Ausschlag. Gebaut 1972 von der Ludwigsburger Firma E. F. Walcker nach den Plänen des charismatischen Organisten Peter Bares, war das Instrument für viele Jahre das Enfant terrible der rheinischen Orgelszene – wie auch ihr geistiger Schöpfer.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig2.jpgder bei aller Funktionsvielfalt sehr übersichtliche Spieltisch

In Sinzig gab sich die Crème de la Crème der damaligen Orgelavantgarde die Klinke in die Hand. Von 1976 bis zu seinem umstrittenen Rauswurf 1985 veranstaltete Bares an seiner Orgel jährliche Studienwochen für Interpretation und Improvisation. Viele heute berühmte Organisten kamen dort in ihrer Studienzeit zum ersten Mal in dieser Vehemenz mit neuer Musik in Berührung. Die Ergebnisse der Studienwochen in Form von Teilnehmer- und Dozentenkonzerten sind noch manch konservativem Ohr schmerzvoll in Erinnerung.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig9.jpgweiß = Koppeln, grün = Labiale, rot = Linguale, blau = Effekt
darunter die Buchstabenleiste, die eine Übersetzung beliebiger Texte in reproduzierbare Tonfolgen erlaubt

Die Orgel von St. Peter begann ihr Leben im Jahr 1880 als zweimanualiges 8'-Instrument der Gebrüder Breidenfeld/Trier. Wie so viele romantische Instrumente, hatte auch diese Orgel in der Hochzeit des Neo-Barocken Klangideals technisch wie musikalisch ausgedient.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig3.jpgRegisterklaviatur: solange ein Taster gehalten wird, erklingt das jeweilige Register

Mit aus heutiger Sicht erstaunlicher Kaltschnäuzigkeit und einem wohl sehr großen Schuhlöffel quetschte man neben 46 "normalen" Registern mit teils recht "schräger" Klangzusammensetzung noch zahlreiche Schlagwerke und Effektregister in das kompakte Gehäuse. Mit fatalen Folgen für die Zugänglichkeit. Gespielt wurde das neue Werk von einem freistehenden Spieltisch, der mit seinen bunten Drucktastern für die Klangsteuerung und Telefonwählscheibe eher an das Stellwerk eines Güterbahnhofes erinnerte.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig4.jpgobere Doppelreihe: Mixturensetzer, untere Doppelreihe: "Rhytmusautomatik"

Bei aller Polemik, die Orgel und Organist entgegenschlugen, wurde leicht übersehen, welch bahnbrechende Neuerungen sowohl musikalisch wie auch orgelbautechnisch hier das Licht der Welt erblickten. Während Tastenfesseln, Mixturensetzer, Xylophon und Glockenton heute keine Augenbraue mehr in die Höhe treiben, waren sie 1972 im wahrsten Sinne des Wortes "unerhört".

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig10.jpgneue Setzerfunktionen

Das in die Jahre gekommene Instrument, das durch die drangvolle Enge im Gehäuse kaum zu warten und auch im Bereich der Trakturen ein Kind ihrer Zeit war, bedurfte einer gründlichen Überarbeitung, um mit seinen ganz besonderen Qualitäten wieder strahlen zu können.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig7.jpgeines der neuen Seitengehäuse

Um den für Wartung und Stimmung dringend benötigten Platz im Gehäuse zu schaffen, wurden die ins Untergehäuse abgeführten größten Pfeifen von Prinzipal 8' und Pommer 16' sowie die meisten Schlagwerke aus dem Hauptgehäuse herausgenommen und in zwei neue, zu beiden Seiten des historischen Gehäuses unter den Bögen zum Seitenschiff installierte Gehäuse gestellt.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig6.jpglinks: originales Wellenbrett, mitte: neue Holzabstrakten und -winkel

Die (nicht originale) Setzeranlage mit 8x8x7 Kombinationen wurde durch eine moderne ersetzt, die Trakturen aus Aluminiumdraht durch neue Holztrakturen ersetzt und die pneumatischen Schleifenzugapparate gegen neue starke Elektromagnete ausgetauscht. Die später hinzugefügte horizontale Zungenbatterie blieb auf dem Gehäusedach, ist aber nach Auslagerung der Schlagwerke erstmals aus dem Innern der Orgel erreichbar.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig8.jpgC-Seite der horizontalen Trompeten

Klanglich blieb die Orgel unangetastet. Die auch heute noch ungewöhnliche Vielseitigkeit des Instruments demonstriert Fraser Gartshore in seinem Blogbeitrag "Wie verrückt ist diese Orgel?" auf eindrucksvolle Weise.

 

 

Die Arbeiten wurden im Frühjahr 2019 durchgeführt. Seit Mai 2019 finden nun wieder regelmäßig Konzerte statt.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Sinzig/Sinzig5.jpgDie Hauptwerksmixturen samt Mollterz. Da schlägt des Orgelbauers Herz höher – oder es rutscht ihm in die Hose…