Wenn schon Sauerland…
… dann bitte Wenden!
der prächtige Boos-Prospekt von 1755
Die katholische Pfarrkirche St. Severinus im sauerländischen Wenden stammt aus den Jahren 1750/51. Sie wurde damals um die zu kleine Vorgängerkirche herumgebaut, in der während der Bauzeit weiterhin Gottesdienst gefeiert wurde. Die alte Kirche wurde erst abgetragen, als das um sie herum entstandene Kirchenschiff fertiggestellt war. Aus dem Material der alten Kirche wurde dann der neue Chorraum gebaut.
ein veritables Kappengebirge
Unmittelbar nach Fertigstellung der Kirche erging der Auftrag für ein neues Orgelwerk an den Koblenzer Orgelbauer Bartholomäus Boos, der prompt von der Empore fiel und unter derselben verstarb. Sein Sohn Joseph vollendete das Werk bis 1755. Das Gehäuse, offensichtlich entworfen nach der Prämisse "mehr Kappe als Gesicht", fertigte der Schreiner Ferdinand Stracke aus dem benachbarten Ottfingen. Das Boos'sche Werk umfasste 23 Register auf Hauptwerk, (wahrscheinlich) Unterwerk und Pedal. Eine in unseren Akten versteckte Zustandsbeschreibung von 1973 erwähnt und zeigt in Skizzen sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite des Untergehäuses Spuren eines Spielschrankes. Dies und die mögliche Anlage mit einem für das Rheinland typischen Unterwerk lässt die Vermutung zu, dass Boos eine hinterspielige Brüstungsorgel fertigte.
die originalen Prospektpfeifen von 1755
Ein Gutachten aus dem Jahr 1837 bescheinigte einen schlechten Zustand, was 1846 zu einer größeren Reparatur führte. Aus diesem Anlass könnte die Orgel auf der Empore zurückversetzt und die Spielanlage auf die Vorderseite geholt worden sein. Dies ist allerdings nur eine Vermutung. Überprüfen lässt sie sich nicht, da 1975 die Rückseite des Untergehäuses aufgegeben wurde. Gebracht hat es jedenfalls nichts. Die Probleme waren wohl nicht nachhaltig beseitigt.
neue Spieltraktur unter dem Emporenboden
1903 wurde das technisch wie auch stilistisch als abgängig eingestufte Instrument durch einen pneumatischen Neubau im bestehenden Gehäuse der Werkstatt Feith, Paderborn, ersetzt. Der neue pneumatische Spieltisch stand auf der rechten Seite des alten Gehäuses. Dieses Werk wurde 1963 ebenfalls durch Feith elektrifiziert – und wieder einmal wurde es dadurch nicht besser.
neue Spieltraktur zum Hauptwerk
1975 erfolgte ein Neubau durch die Werkstatt Breil aus Dorsten, diesmal wieder mit mechanischen Trakturen und Schleifladen. Der neue und erschreckend asymmetrische Spieltisch wurde symmetrisch vor das symmetrische Gehäuse auf die Empore gesetzt. Die Traktur bestand zeittypisch aus Aluminiumdraht mit Spitzlagerungen. Wie schon 1903 wurden zahlreiche Pfeifen wiederverwendet, dabei aber stark in ihrer Substanz verändert. Glücklicherweise überlebten die originalen Prospektpfeifen alle Zeitenwenden. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte verdeckte das Mäntelchen des Staubes gnädig so manche Sünde. In diesem Zustand trafen wir die Orgel bei unserem ersten Besuch im Oktober 2019 an.
im Unterwerk
Da für eine Rekonstruktion der Boos-Orgel keinerlei dokumentarische Grundlage vorhanden war (und ein solcher in der kirchenmusikalischen Praxis auch erhebliche Probleme mit sich gebracht hätte), stand ein historisierender Neubau nicht zur Debatte. Das Ziel war also, unter Erhaltung der qualitativ guten Teile ein nachhaltiges Werk zu schaffen, das sowohl in klanglicher wie auch in technischer Hinsicht für die kommenden Jahrzehnte gerüstet ist.
die neue Oboe hinter dem Krummhorn von 1975
Die verschlissene Draht-Traktur wurde durch eine traditionelle Holztraktur ersetzt. Ebenso wurde ein neuer Spieltisch mit einer modernen Setzeranlage installiert. Die zwei 1975 freigebliebenen Schleifen wurden mit zwei neuen Registern gefüllt und der vorhandene Registerbestand einer umfassenden Überarbeitung und Neuintonation unterzogen. Im Ergebnis kann und will das Instrument seinen gewachsenen Zustand nicht verleugnen, besticht aber durch viel Charme und Klangschönheit. So kamen wir gerne dem expliziten Wunsch der Gemeinde nach einer eigenen Opusnummer nach, die ja sonst eher umfangreichen Restaurierungen/Rekonstruktionen und Neubauten vorbehalten ist.
die Pedal-Posaune aus dem Vorgängerinstrument
und zu guter Letzt der Zimbelstern auf dem Gehäusedach